Und es hat "zoom" gemacht...
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf unsere Fortbildungsangebote
Diesen Text finden Sie auch in der Projektdokumentation von "digit! jungenarbeit DIGITAL" für den Projektzeitraum 2019/2020, die wir in wenigen Tagen veröffentlichen.
Von Hendrik Müller
"Irgendwie anders?!" heißt unsere Fortbildungsreihe mit Fachveranstaltungen zur geschlechtsbezogenen Arbeit mit Jungen*, in der wir jährlich ca. 20 verschiedene Zwei-Tages-Fortbildungen, Tagungen und Vernetzungstreffen anbieten. Mitte März wurde der Name dann zum Programm. Alle geplanten Fortbildungsmaßnahmen konnten aufgrund der Covid 19-Pandemie nicht wie geplant stattfinden und wir standen vor der Frage: Alles absagen oder es "irgendwie anders" machen?
Nach anfänglicher Ratlosigkeit und der rasch wieder verworfenen Idee, alle Veranstaltungen in den Herbst zu verschieben, war schnell klar, dass die unklare Situation des Lockdowns und der Kontaktbeschränkungen auch eine gute Gelegenheit darstellt, uns in der Gestaltung und Umsetzung digitaler Bildungsangebote auszuprobieren. Aus den geplanten Präsenzveranstaltungen wurden digitale Angebote in Form von Video-Seminaren. Glücklicherweise konnten wir hierbei bereits auf Know-How und erste Webinar-Erfahrungen aus unserem im Jahr 2019 gestarteten Digitalisierungsprojekt "digit! jungenarbeit DIGITAL" zurückgreifen. Somit war die technische (Grund-)Ausstattung mit Kameras, Mikrofonen und einer Videokonferenz-Software in Teilen schon vorhanden und es konnte mit der Übersetzung der als Präsenzveranstaltungen geplanten Fortbildungen ins Digitale begonnen werden.
Video-Seminare mit je max. 18 Teilnehmenden
Mit ein wenig Überzeugungsarbeit bei uns und unseren Referierenden und ersten konzeptionellen Überlegungen, sind wir Mitte April als Testballon mit der Durchführung eines digitalen Vernetzungstreffens und einer Fortbildung zu unserem Material- und Methodenset "junge liebe – mehr als sechs mal sex" gestartet. Diese fanden mit einer vorsichtig auf zwei Stunden angesetzten Seminardauer statt, in denen methodisch fürs Erste mit Online-Präsentationen und Gruppendiskussionen gearbeitet wurde. Nach vielen positiven Rückmeldungen sowohl der Teilnehmenden als auch der Referierenden zum Format der Video-Seminare und dem gleichzeitigen Wunsch nach ausführlicheren Angeboten mit mehr Raum für Austausch und Vernetzung, sind wir dazu übergegangen, den Seminarumfang zeitlich zu erweitern und die Seminare methodisch abwechslungsreicher zu gestalten.
Mittlerweile bieten wir unsere Fortbildungen als Video-Seminare mit einer Dauer von 5,5 Stunden und mit maximal 18 Teilnehmenden an, so ist die Kommunikation untereinander problemlos möglich. Die Video-Seminare werden gut nachgefragt und sind in der Regel ausgebucht. Wir arbeiten aktuell mit der Videokonferenzsoftware Zoom, über die sich alle Teilnehmenden mit Bild und Ton gleichberechtigt an unseren Seminaren beteiligen können. So können Rückfragen an die Referierenden gestellt und eigene Erfahrungen und Sichtweisen eingebracht werden. Über die Funktion der Bildschirmfreigabe können für alle sichtbar Folienpräsentationen, Browser-Inhalte, Bilder und Videos miteinander geteilt werden. Darüber hinaus bietet die Software die Möglichkeit, die gesamte Seminargruppe in verschiedene Untergruppen zu teilen und in sogenannten Breakout-Sessions Kleingruppenarbeit anzubieten.
Methodisch machen wir im Seminarablauf gute Erfahrungen mit einem abwechslungsreichen Mix aus foliengestützten Vorträgen, Erklärvideos, Frage- und Diskussionsrunden sowie Kleingruppenarbeit. Hilfreich sind hierbei verschiedene Tools, die den Funktionsumfang von Zoom ergänzen und so mehr Möglichkeiten zur interaktiven Beteiligung der Teilnehmenden bieten. So nutzen wir beispielsweise Mentimeter für Abstimmungen und Umfragen, den Online-Texteditor Cryptpad für gemeinsame Mitschriften und die Ergebnissicherung in Kleingruppenarbeiten und Miro als digitales Whiteboard, auf dem beispielsweise gemeinsame Mindmaps erstellt und Arbeitsergebnisse festgehalten werden können. Die Dokumentation der Seminare geschieht über die Online-Pinnwand Padlet, auf der Arbeitsergebnisse, Präsentationen und weiterführende Informationen abgelegt und den Teilnehmenden im Nachgang und auf Dauer zur Verfügung gestellt werden können.
Je mehr Tools zum Einsatz kommen (und wie so oft gilt auch hier: weniger ist mehr), desto entscheidender ist auf Seiten der Teilnehmenden die Wahl des Endgeräts. Um optimal mitarbeiten zu können, empfehlen wir die Einwahl mit einem PC/Laptop, der idealerweise, aber nicht zwingend mit einem zweiten Monitor ausgestattet ist. Auf diese Weise lassen sich beispielsweise ein Online-Vortrag, ein parallel genutztes Pad und die anderen Teilnehmenden gut im Blick halten. Die Nutzung eines Mobiltelefons oder eines Tablets ist prinzipiell auch möglich. Die Mitarbeit an parallel genutzten Tools ist aber um einiges schwieriger.
Durch die fortlaufende Evaluation der Video-Seminare, die über den Onlinedienst Edkimo stattfindet, wird deutlich, dass neben den fachlichen Inhalten auch die Möglichkeit zu Vernetzung und Austausch für die Teilnehmenden einen hohen Stellenwert hat. Daher sind mittlerweile Vorstellungsrunden, Erwartungsabfragen und Soziometrische Übungen, die sich hervorragend über Mentimeter digital umsetzen lassen, fester Bestandteil unserer Online-Angebote. Zudem haben sich Murmelgruppen bewährt, die in Breakout-Sessions angeboten werden können. Hier können sich die Teilnehmenden in Kleingruppen näher kennenlernen, sich kollegial beraten oder zu bestimmten Fragestellungen austauschen. Auch ausreichend lange Pausen sind ein wichtiger Bestandteil der Seminare und tragen zum Gelingen bei. Da die lange Bildschirmzeit ein hohes Maß an Konzentration und Ausdauer verlangt, ist es ratsam, über den Tag verteilt regelmäßige kurze Pausen einzuplanen und eine Mittagspause anzubieten.
Einarbeitung und gute Planung nötig
In der Vorbereitung der Videoseminare ist aktuell noch eine teils intensive Einarbeitung der Referierenden in die Videokonferenz-Software sowie eine Unterstützung bei der Ablaufplanung und der didaktischen Gestaltung der Seminare vonnöten. In der Zusammenarbeit zwischen Referierenden, Moderation und Technik-Support arbeiten wir mit einem detaillierten, im Vorfeld abgestimmten Moderationsplan, aus dem Ablauf, Rollenverteilungen und Regie-Anweisungen für die Technik hervorgehen. Dieser ist für einen reibungslosen Ablauf von besonderer Bedeutung, da sich die Beteiligten weitestgehend nicht in denselben Räumen befinden und somit spontane Absprachen erschwert werden.
Im Vorfeld jedes Seminars gibt es einen 30-minütigen Technik-Check. Hierfür ist der Seminarraum für alle Teilnehmenden geöffnet, die hier ihre Bild- und Tonverbindungen testen und bei Problemen Hilfe bekommen können. Da vereinzelt Teilnehmende immer mal wieder grundlegende Probleme mit der Einwahl oder ihrem Endgerät haben, hat sich in vielen Fällen eine telefonische Erreichbarkeit des Technik-Supports bewährt.
Wertvolle Ergänzung statt Präsenz-Ersatz
Mittlerweile haben wir viele Erfahrungen bei rund 15 Online-Angeboten machen können; hinzu kommen weitere Veranstaltungen aus dem Projekt "Irgendwie Hier! Flucht - Migration - Männlichkeiten", deren umfangreiche Trägerfortbildung aus aktuellem Anlass ebenfalls größtenteils digital stattfand.
Die Abläufe sind eingeübt und optimiert und es hat sich über die vergangenen Monate eine Art von Sicherheit und Zufriedenheit mit dem für uns neuen Format eingestellt. Für uns als Veranstalter gibt es einige Vorteile zu Präsenzveranstaltungen. Lange Fahrzeiten zu den NRW-weit ausgeschriebenen Veranstaltungen sowie organisatorische Absprachen mit Bildungshäusern und Caterern fallen weg. Terminabsprachen sind nur noch mit den Referierenden nötig und neue Angebote können so bedarfsgerecht auch spontan ins Jahresprogramm aufgenommen werden. Zudem lassen sich über die digitalen Angebote neue Zielgruppen von Teilnehmenden, auch über NRW hinaus, erreichen.
Schon jetzt steht fest: Video-Seminare werden auch über die Corona-Beschränkungen hinaus unser bestehendes Bildungsangebot erweitern und bereichern. Sie können und werden aber keinesfalls Präsenz-Fortbildungen ersetzen. Gerade Fortbildungs- und Qualifizierungsangebote, die beispielsweise Haltungsfragen thematisieren, Biografiearbeit beinhalten und hierfür einen gelingenden Prozess innerhalb der Fortbildungsgruppe benötigen, kommen online schnell an ihre Grenzen, weil besonders dort der direkte Kontakt und der persönliche Austausch unerlässlich sind. Kreatives Arbeiten, Brainstormen und auch, sich mal ins Wort zu fallen und die Emotionen des Gegenübers zu erkennen, ist im direkten Kontakt einfacher. Insofern wird in Zeiten, in denen Kontaktbeschränkungen keinen Einfluss mehr auf unsere Angebotsplanung haben, genau zu prüfen sein, welche Themen und Inhalte sich für welches Format eignen. Ist ein Thema über die uns in Video-Seminaren zur Verfügung stehenden Möglichkeiten gut umzusetzen oder bedarf es aus den oben genannten Gründen eines persönlichen Kontakts und Austauschs?
Für 2021 arbeiten wir an neuen Fortbildungsangeboten, die als Blended-Learning-Format angeboten werden. Hierbei beinhaltet eine Fortbildung sowohl Online- als auch Präsenztermine. Auf diese Weise kann beispielsweise die Wissensvermittlung online im Videoseminar erfolgen und die Präsenztermine bieten Raum für Austausch, Reflexion und kollegiale Beratung. Wir freuen uns auf diese spannende Weiterentwicklung und sind gespannt auf unsere ersten Erfahrungen.
Hendrik Müller ist Referent der LAG Jungenarbeit NRW und verantwortet und organisiert seit acht Jahren u.a. die Fortbildungsreihe "Irgendwie anders?! – Fachveranstaltungen zur geschlechtsbezogenen Arbeit mit Jungen*".