Einsame Jungen*
Männlichkeit und Einsamkeit - ein gesellschaftlicher Widerspruch?
Von Vincent Peiseler
Einsamkeit ist ein weit verbreitetes Phänomen in unserer Gesellschaft, welches viele Menschen aus unterschiedlichen Altersgruppen, sozialen Schichten und unabhängig ihres Geschlechts betrifft. Doch grade bei Männern*, vor allem bei Jungen* und jungen Männern* wird Einsamkeit nicht ausreichend thematisiert. Das Erleben und Besprechen von Einsamkeit steht teils in einem Widerspruch zu gesellschaftlich konstruierten Erwartungen an Männlichkeit, die auch schon an Jungen* und junge Männer* herangetragen werden und zu denen sie sich verhalten müssen. Aber Einsamkeit kann einen starken Einfluss auf Gesundheit und Psyche haben.
einsamkeit als soziales phänomen
Einsamkeit meint nicht bloß allein sein. Einsamkeit zu messen ist nicht leicht, da es im Vergleich zur sozialen Isolation keine objektiv messbare Kriterien gibt. Es geht vielmehr um die subjektive Einschätzung zur Zufriedenheit mit der Quantität und Qualität der eigenen sozialen Beziehungen geht. Einsamkeit ist dabei auch kein binäres Phänomen - man ist also nicht entweder einsam oder nicht-einsam - sondern es kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein und ist darüber hinaus in das Erleben sozialer und emotionaler Einsamkeit zu unterscheiden.
- Soziale Einsamkeit meint, dass die Quantität der sozialen Beziehungen als nicht ausreichend empfunden wird, bspw. wenn die betroffene Person nicht ausreichend in soziale Netzwerke eingebunden ist, wie z.B. Freund*innengruppen, Schulklassen oder Sportvereine.
- Emotionale Einsamkeit beschreibt einen empfundenen Mangel an besonders nahestehenden und vertrauten Personen, zu denen eine emotionale Nähe und Verbundenheit besteht und gegenseitiges Verständnis und Unterstützung gelebt wird.
auswirkung von einsamkeit
Einsamkeit kann sich stark auf die Gesundheit und Psyche auswirken, grade wenn der Zustand über einen längeren Zeitraum bestehen bleibt. Studien weisen darauf hin, dass eine erhöhte Stressbelastung, schlechterer Schlaf, verringerte körperliche Aktivität, ungesunderes Essverhalten und eine allgemein schlechtere körperliche Gesundheit Folgen sein können. Besonders eindeutig belegt ist der Einfluss auf die psychische Gesundheit. Depressionen und soziale Ängste bzw. Angststörungen können durch das Erleben von Einsamkeit begünstigt oder verstärkt werden.
Dabei ist Einsamkeit nicht bloß als individuelles Phänomen zu verstehen, sondern als ein strukturell-gesellschaftliches Problem. Einsamkeit kann auch soziale Folgen haben. Grade (junge) Menschen, die sich einsam fühlen, können empfänglicher sein für politisch extremistische Ideologien oder auch Verschwörungsmythen, auch wenn sich aus der Studienlage dazu kein kausaler Zusammenhang ablesen lässt. Aber grade das Gefühl von sozialer Zugehörigkeit und einer „gemeinsamen Sache“ spielt in Radikalisierungsprozessen oft eine große Rolle.
risikofaktoren für einsamkeit
Im Jugendalter kann Einsamkeit weitreichende Folgen auf das spätere Leben haben, aber grade in diesem Lebensabschnitt gibt es ein auffälliges Risiko dafür. Jugend und junges Erwachsenenalter sind Zeiten des Umbruchs; viele psychische und soziale Veränderungen passieren. Es ist tendenziell eine instabile Lebensphase, in der junge Menschen eine eigene Identität entwickeln. Das Beenden und der Neubeginn von Schule/Studium/Ausbildung und Auszug aus dem Elternhaus können das Risiko einsam zu sein erhöhen. Aber auch Veränderungen von Freundschaften, der Peer-Gruppe oder romantische Beziehungen, können Einfluss auf das Empfinden von Einsamkeit haben. Junge Menschen aller Geschlechter sind von Einsamkeit betroffen, doch vor allem queere junge Menschen, sind besonders oft von Einsamkeit betroffen.
Es gibt verschiedene Faktoren, die Einsamkeit bedingen können. Aber vor allem Armut bzw. unzureichende Verfügung über finanzielle Ressourcen stellen den Risikofaktor dar, der in Studien am klarsten auszumachen ist. Armut reduziert die Möglichkeiten an sozialer Teilhabe und führt zu gesellschaftlichem Ausschluss, dies wiederum erhöht das Risiko für Einsamkeit. Außerdem bringt Armut eine doppelte Belastung mit sich: zum einen die objektive soziale Isolation, die sich aus ihrem sozialen Status ergibt, und zum anderen die subjektive Einsamkeit, die mit dem Gefühl verbunden ist, weniger wert oder weniger fähig zu sein als Altersgenoss*innen. Diese Erlebnisse können das Selbstwertgefühl erheblich beeinträchtigen und zu einem chronischen Gefühl der Einsamkeit führen. Diese Belastung wird noch verstärkt durch das Narrativ, dass von Armut Betroffene an ihrer finanziellen Situation selbst schuld seien und sie diese durch bloße Eigenleistung verändern könnten.
Auch weitere Faktoren, so etwa eine niedrige Bildung, in der Jugendphase getrenntlebende Eltern, aber vor allem auch fehlende Kontakt bzw. Freundschaften zu Gleichaltrigen - da diese Beziehungen einen großen Stellenwert in der Jugend haben - können zu Einsamkeit führen.
einsame jungs*
Die Studie „Einsamkeit unter Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen nach der Pandemie“ von 2023 hat durch Befragung von knapp 900 Jungen* und jungen Männern* folgende Ergebnisse erzielt: zur emotionalen Einsamkeit befragt, geben von den 13-15-jährigen 41% an, sich mindestens moderat einsam zu fühlen, 6% fühlen sich stark einsam - bei den 16- bis 20-jährigen sind sogar ca. 53% moderat einsam und 17% stark einsam. Zur sozialen Einsamkeit befragt, liegen die Werte bei 23% moderat und 4% stark einsam für die 13- bis 15-Jährigen und 37% moderat und 16% stark einsam bei den Älteren. Die Tendenz geht in der Studie dazu, dass Jungen* aktuell ein Erleben von emotionaler Einsamkeit häufiger erleben und beschreiben.
36% gaben an sich in den letzten 12 Monaten manchmal einsam gefühlt zu haben und knapp 30% sogar oft bis immer. Die Corona Pandemie und alle damit verbundenen Einschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens haben das Empfinden von Einsamkeit verstärkt, aber das Maß an Einsamkeit ist auch nach den Lockerungen höher als vor der Pandemie.
druck durch männlichkeitsanforderungen
Auch wenn die sozialen Konstruktionen und Vorstellungen von Männlichkeit heute vielfältiger und weniger starr sind, bleiben manche Männlichkeitsanforderungen doch weiter präsent und alle jungen Menschen, die als männlich wahrgenommen werden, müssen sich zu diesen Erwartungen verhalten. Teile dieser Anforderungen machen einen Widerspruch auf, der es erschwert Einsamkeit zu thematisieren. So wird oftmals weiterhin vermittelt, dass Männlichkeit mit einem gewissen Maß an Souveränität und Autonomie bzw. Selbstständigkeit verbunden ist. Es bleibt auch die Tendenz, Männlichkeit damit zu verknüpfen, die eigenen Probleme selbst zu lösen, statt sich dafür Hilfe zu suchen und somit die Kontrolle über die eigene Situation sowie die eigenen Emotionen zu behalten.
Dazu lernen Jungen* und Männer* seltener über ihre Gefühle zu sprechen, was dazu führt, dass sie in Hinblick auf Emotionen und Einsamkeit kaum sprachfähig sind. Dies kann das führen, dass Einsamkeit erst gar nicht erkannt wird. So kann ein innerer Druck entstehen sich auf der einen Seite zu den von außen herangetragenen Anforderungen verhalten zu müssen und gleichzeitig mit potenziellem inneren Leidensdruck durch Einsamkeitserfahrungen umzugehen.
Die oben beschriebene Häufigkeit von emotionaler Einsamkeit kann auch damit verbunden sein, dass männliche Freundschaften tendenziell häufiger in einem Kontext von gemeinsamen Unternehmungen stehen, also eher Aktionsfreundschaften sind als Beziehungsfreundschaften. Sie finden in der Tendenz häufiger in einem dynamischen, aktiven Kontext statt, sind dadurch unter Umständen aber auch weniger tiefgreifend und vertraut.
fazit
Die Einsamkeit von Jungen* und jungen Männern* ist ein komplexes und oft übersehenes Problem, das in engem Zusammenhang mit gesellschaftlichen Vorstellungen von Männlichkeit steht. Der Druck, souverän und unabhängig zu sein, erschwert es vielen, ihre emotionalen Bedürfnisse wahrzunehmen und anzusprechen. Besonders junge Männer* aus sozial benachteiligten Verhältnissen sind von Einsamkeit betroffen, was sich negativ auf ihre psychische Gesundheit auswirkt. Jungenarbeit sollte strukturell für das Thema sensibilisiert sein, um über das Thema aufzuklären und dazu beizutragen, dass die damit verbundenen Stigmata von Einsamkeit, aber auch Armut, abgebaut werden. Zusätzlich soll Jungenarbeit individuell mit Jungen* und jungen Männern* zu ihrer Beziehungsfähigkeit und zum Umgang mit Männlichkeitsanforderungen arbeiten. Nur so kann ein gesundes Umfeld geschaffen werden, in dem sich junge Männer* nicht nur als Individuen, sondern auch als Teil einer Gemeinschaft fühlen können.
Vincent Peiseler ist Referent der LAG Jungenarbeit NRW e.V. im Projekt "Irgendwie Hier - Jungenarbeit in der Migrationsgesellschaft"
Referenzen
Einsamkeit unter Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen nach der Pandemie (2023). Prof. Dr. Maike Luhmann et al. Abgerufen unter: https://www.land.nrw/einsamkeit
Stiftung Männergesundheit (2022). 5. Männergesundheitsbericht. Gießen, Psychosozial-Verlag