Jungenarbeiter*innen stellen sich vor / Stefan Weidmann
„Die Arbeit mit Jungen ist immer auch selbstreflexiv“
5 Fragen an... Stefan Weidmann
Stefan Weidmann ist Hochschulprofessor im Fachbereich Sozialwesen an der Hochschule Fulda und Vorstandsmitglied der LAG Jungenarbeit NRW. Die Schwerpunktthemen in seinem Berufsalltag sind die Sozialraumentwicklung und -organisation und die Professionalität Sozialer Arbeit. Er hat uns fünf Fragen zum Thema "Jungenarbeit" beantwortet...
1) Welche berufliche Station in deiner Laufbahn hat dich mit dem Thema Jungenarbeit verbunden?
Stefan Weidmann: "Jungenarbeit hat mich seit meinem ersten Studium interessiert, besonders als ich damals Vater wurde. Ich habe das Thema im Rahmen der Jugendarbeit weiter verfolgt und als Jugendpfleger im Rhein-Sieg-Kreis ausgebaut."
2) Welche konkrete Praxis aus deiner beruflichen Geschichte ist für dich ein Beispiel für gelingende Jungenarbeit?
Stefan Weidmann: "Beeindruckt haben mich vor allem ein Selbstbehauptungskurs für Jungen und eine Jungengruppe in einer Grundschule. In dem Selbstbehauptungskurs saßen 12 Jungen, die in ihrem Alltag ausgegrenzt wurden und sich nun in einer anderen Konstellation ganz neu erfahren konnten. Die Jungengruppe war ebenfalls ein Möglichkeitsraum für die Jungen, aber auch für deren Väter oder andere männliche Bezugspersonen. Entscheidend sind aber nicht die Projekte, sondern die Haltung und die Begegnung, mit der solche Möglichkeitsräume geschaffen werden."
3) Was hast du bei deiner Arbeit von Jungen* gelernt?
Stefan Weidmann: "Die Arbeit mit Jungen ist immer auch selbstreflexiv. Vor allem, wie Jungen mit Ihren Bedürfnissen, z.B. nach Anerkennung, umgehen, hat mir persönlich viel verdeutlicht, aber auch beruflich gezeigt, wie wichtig es ist, die Perspektive der Jungen einzunehmen – und sie nicht in meinem Sinne erziehen zu wollen."
4) Was möchtest du anderen pädagogischen Fachkräften mit auf den Weg geben, um sie speziell für die Arbeit mit Jungs* zu motivieren?
Stefan Weidmann: "Zunächst möchte ich nicht von ,Jungs' sprechen. Diese Verniedlichung ist nett gemeint, birgt aber immer die Gefahr, Jungen nicht ganz ernst zu nehmen. Die Arbeit mit Jungen, letztlich aber die Soziale Arbeit insgesamt, schafft Möglichkeiten für neue Erfahrungen, Entwicklungen und Veränderungen. Das kann sich auf einzelne Jungen ebenso beziehen wie auf die Lebensbedingungen von Jungen. An solchen Prozessen beteiligt zu sein, ist sehr erfüllend."
5) Finanzielle und strukturelle Aspekte beiseite - wenn alles möglich wäre, was würdest du dir für dein Arbeitsfeld am dringendsten wünschen?
Stefan Weidmann: "In der Hochschule ist die Jungenarbeit meines Erachtens nach noch zu wenig präsent. Ich wünsche mir, dass Jungen mit ihren Bedürfnissen und den Einschränkungen ihrer Bedürfnisse in einer kapitalistisch-patriarchalen Gesellschaft stärker in den Blick genommen werden, von Forschung und Lehre aber auch im Austausch von Theorie und Praxis."
Interview: Verena Waldhoff