Gewaltprävention und Deeskalationstraining
Gewaltprävention und Deeskalationstraining
"Jungen* brauchen auch geschützte Räume"
"Jetzt musst du da noch durch!" "Nein, das Seil ist viel zu kurz!" "Autsch, mein Arm wird abgeschnürt!" "Achtung – nicht um den Hals festziehen!" Abbruch. Gemeinsames Knotenlösen ist gar nicht so leicht, noch nicht einmal, wenn man mit einer erwachsenen Gruppe von pädagogischen Fachkräften "nur" in einer Fortbildung zu Gewaltprävention während einer Praxisübung mit einem verknoteten Seil zu tun hat. Wie fühlt es sich erst an, wenn man zum Beispiel als 13-jähriger Junge* an einem Deeskalationstraining teilnimmt?
"Es fühlt sich auf jeden Fall besser an, wenn es erst gar nicht Deeskalationstraining heißt", sagt Claus Gudat, Erzieher und Deeskalationstrainer aus Viersen. Ein Projektname müsse her, der für alle Teilnehmenden spannend klingt und Identifikation schafft. Das Programm, mit dem Gudat in seinem pädagogischen Alltag unterwegs ist, hat er "Cross Roads" genannt (dt. "Kreuzung"), weil Jungs* zwischen elf und 16 Jahren häufig abwägen müssen, in welche Richtung sie abbiegen möchten – Richtung Gewalt, Richtung Flucht, Richtung Kommunikation. In der Fortbildung "Und was machst du, wenn du rot siehst?" aus der Veranstaltungsreihe "irgendwie anders?!" der LAG Jungenarbeit NRW benutzt Gudat viel aus "Cross Roads", bespricht mit den Teilnehmenden theoretische und planerische Aspekte eines solchen Trainings, nimmt sie aber vor allem mit in die Praxisübungen, die eigentlich für die Jungs* in den jeweiligen Einrichtungen entwickelt sind, um einen Perspektivwechsel hinzubekommen und die Inhalte auch für Erwachsene erlebbar zu machen.
"Also, wenn ich bei dieser Übung einer der Jungs* aus meiner Gruppe gewesen wäre, wäre ich dabei schon ausgetickt", sagt eine Fachkraft aus dem Offenen Ganztag nachdenklich, reibt sich den geröteten Unterarm und denkt an ihren Alltag in der Schule. Diese auffälligen Jungs* kennen alle Teilnehmenden der Fortbildung aus ihren Einrichtungen. Aber: "Jungen* stehen leider oft auf der Schuldseite in Konflikten und es heißt schnell 'Die bösen Jungs* haben’s gemacht' – ich merke häufig, dass wir Fachkräfte in diese Falle stolpern", sagt Pastoralreferent Michael Kruse, der als Schulseelsorger in Düren arbeitet und an der Fortbildung teilnimmt.
Ein Ziel: Dem Thema Gewalt in der Einrichtung souveräner begegnen
Claus Gudat ist sich sicher, dass ein Training zur Gewaltprävention sowieso für alle Kinder und Jugendlichen gut ist – für Jungs*, für Mädchen*, für die auffällig aggressiven wie für die zurückhaltenden Kinder und Jugendlichen. "Wenn es sich irgendwie umsetzen lässt, sollte man alle mitmachen lassen", sagt der Deeskalationsexperte und plädiert dabei trotzdem dafür, ein Programm mit geschlechtshomogenen Gruppenzusammensetzungen durchzuführen.
"Neben der wichtigen Präventionsarbeit für Mädchen*, dürfen die Jungs* nicht vergessen werden – Jungen* brauchen auch geschützte Räume", erklärt Lisa Skindziel, Erzieherin und bei der AWO als psychologische Assistenz tätig, in diesem Zusammenhang ihr Interesse am Thema und ihre Teilnahme an der Fortbildung.
Natürlich sorge ein einmaliges Gewaltpräventionstraining noch nicht dafür, dass ein Junge* nicht mehr auffällig wird, stellt Claus Gudat klar. Trotzdem sind Fortbildungen wie diese für Fachkräfte die Möglichkeit ihren pädagogischen "Werkzeugkoffer" zu erweitern, Strategien für sich selbst zu entwickeln, dem Thema Gewalt in der Einrichtung souveräner zu begegnen und eben den ein oder anderen Knoten im Umgang mit aggressiven Jungs* zu lösen.
Weitere Informationen zum Programm "Cross Roads": https://www.marianum-krefeld.de/marianum-crossroads.html
Text: Verena Waldhoff